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Loslassen - Der Trauerratgeber

Von Abschied und Hoffnung

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Fotos (7): Doreen Bülow

Von Abschied und Hoffnung

Von Bea Schwarz     Das Kind, erst knapp vier Jahre alt, war wenige Wochen vor Weihnachten gestorben. Die Trauer und der Schock machten die ganze Familie sprachlos. Mutter und Vater, Oma und Opa, Onkel und Tanten. Das Lachen des siebenjährigen Geschwisterkindes war verstummt, wie ausradiert. Bis zu jenem Vormittag im Haus „Waldfrieden“. Als die ganze Familie dort zusammenkam. Um gemeinsam zu trauern und sich von ihrem toten Kind zu verabschieden. Erst da brachen sozusagen die Dämme. Die Familie konnte weinen. Sich erinnern. Über das Kind sprechen, das nebenan aufgebahrt lag. Weinen, erinnern, sprechen! Und – ja – lachen. Über lustige Momente, die sie alle mit diesem kleinen Menschen erlebt hatten. „Vielleicht kann es nun doch noch irgendwie ein schönes Weihnachtsfest werden, für unser großes Kind möchten wir das unbedingt schaffen. Wir sind so dankbar, dass wir uns hier bei Ihnen von unserem verstorbenen Kind auf diese Art und Weise verabschieden konnten“, sagte der Vater zu Kerstin Hexamer, bevor die Familie zurück nach Rostock zur Beisetzung fuhr. „Für uns“, erzählt Kerstin Hexamer sanft, „ist das der schönste Lohn für unsere Arbeit.“ Ihr Mann Ralf nickt bestätigend. Beide strahlen große Ruhe, Wärme und Herzlichkeit aus.

Baum als Grabstätte, Andachtsplatz und Tröster / Beisetzungen im FRIEDWALD">

Ein sonniger Vormittag im September. Wir sind in Bandow bei Schwaan, wenige Autominuten von unserer Hansestadt entfernt, zu Gast bei Kerstin und Ralf Hexamer. Neben dem Haus „Waldfrieden“ steht auch das Privathaus der Hexamers. Kraniche fliegen über das Grundstück. Im Garten wachsen meterhohe Sonnenblumen, Symbole für Licht und Leben. Weithin leuchten ihre gelben Blütenblätter. Unzählige Schmetterlinge flattern umher. Ein zauberhaftes Bild. „In der asiatischen Kultur sagt man, Kraniche und auch Schmetterlinge sind die Seelentransporteure“, erzählt Ralf Hexamer und lächelt leise. Gänsehaut! Wir halten einen kurzen Moment inne. Nicht für alles zwischen Himmel und Erde muss es eine Erklärung geben.

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Dieses alte und von den Hexamers in Eigenregie liebevoll sanierte Haus inmitten der Natur, das schon immer „Waldfrieden“ hieß, scheint wie gemacht für seine Aufgabe. Man könnte meinen, nicht die Hexamers hätten das Haus, sondern das Haus hätte die Hexamers gefunden. Damit sie hier trauernden Menschen zur Seite stehen. Auch die beiden haben sich gefunden. Das ist sofort zu spüren. Sie verstehen sich wortlos. Ergänzen sich in ihren Worten. Kerstin und Ralf Hexamer führen ein Bestattungsinstitut, er die Filiale in Rostock-Reutershagen, sie die in Bad Doberan, einer der acht Mitarbeiter jene in Rostock-Lichtenhagen. Ralf Hexamer gründete das „Bestattungshaus Hexamer“ 2006, seine Frau folgte ihrer gemeinsamen Berufung wenige Jahre später. In der Tat sind die gebürtigen Rostocker viel mehr, als man mit dem Begriff „Bestatter“ zumeist verbindet – sie sind helfende Hand, Zuhörer, Berater, Begleiter in der Zeit der Trauer und mit dem TrauerNetz Rostock und Umland e.V..

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„Stirbt ein geliebter Mensch, dann fehlt er, die Lücke bleibt. Loslassen, sich wirklich verabschieden zu können – dabei möchten wir den Trauernden helfen. Deshalb gibt es unser Abschiedshaus ,Waldfrieden‘, in dem jeder sich so verabschieden kann, wie er es braucht und wie es für ihn richtig ist. Im Zimmer bei dem Verstorbenen, mit der Familie im Raum nebenan, in stillem Zwiegespräch oder... Loszulassen, das kann Hoffnung geben“, sagt Kerstin Hexamer.

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Im Haus „Waldfrieden“, das in seiner Art wohl einmalig in ganz Deutschland ist, werden die Besucher von schwarz-grauen Blumen auf weißem Grund im Flur empfangen – angemessene Farben und Formen, die trotzdem nicht erdrücken, sondern auch Lebensfreude und Leichtigkeit vermitteln. Die Küche in Holz, warm und gemütlich. Eine Treppe führt nach oben in einen Rückzugsbereich. Das „Wohnzimmer“ mit Kamin ist kuschelig wie Omas gute Stube, nur viel moderner, viel großzügiger – hier haben ganze Familien Platz. Fürs Beisammensein. Für Abschiedsgeschenke. Für Lieblingsmusik. Für Tränen. Auch für Freude. Für die Kinder gibt es Spielzeug, Spiele – eben auch viel Raum. Visà- vis das Zimmer, in dem die Verstorbenen aufgebahrt werden. Kerzen brennen. Ein Herbstwald leuchtet orangegolden an der Wand. Wärme! Ruhe! Zeit für Trauer – und Abschied. So viel und so lange man möchte – das strahlt dieser Raum aus. Seine Wände könnten sicher so manche Geschichte erzählen. Von Liebe, Leid, Verlust, aber auch von Neuanfang.

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„...Zeit nehmen, dem Abschied Raum geben“ – das ist die Philosophie hinter diesem Haus im Wald. „Der Familie und/oder den Freunden gemeinsam Raum geben, den Tod des geliebten Menschen zu begreifen, auf ihre eigene, persönliche Art, nach ihren individuellen Wünschen, das möchten wir hier ermöglichen“, sagt Kerstin Hexamer. Als ehrenamtliche Trauerbegleiter haben die Hexamers unzählige Male erfahren dürfen, wie wichtig diese letzte Begegnung mit dem Verstorbenen sein kann. Im Haus „Waldfrieden“ kann man verstorbene Angehörige oder Freunde auch selbst waschen und ankleiden – bis hin zur Einbettung in den Sarg. „Oder einfach dabei sein“, so Ralf Hexamer. Es gibt auch eine Werkstatt, in der Sarg oder Urne liebevoll und individuell bemalt bzw. gestaltet werden können. Wie es vor einigen Wochen jene Enkel taten, die die Urne ihrer verstorbenen Omi kunterbunt und mit ihren Handabdrücken verzierten. Auf dem Hof, unter einem Blätterdach, kann gegrillt werden – vielleicht in Erinnerung an den geliebten verstorbenen Opi, der dies so gern tat...

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Kerstin Hexamer: „Es ist immer jemand von unserem Team hier, begleitet und unterstützt die Angehörigen, wenn sie das wollen.“ Die erfahrenen Trauerbegleiter sind auch für die Kinder da, die nochmal einen ganz eigenen Umgang mit Abschied und Trauer haben.

Auf ihrer Internetseite schreiben Kerstin und Ralf Hexamer zum Abschied von einem Verstorbenen im Haus „Waldfrieden“: „...Ja, es werden dabei Tränen rollen und ja, es schmerzt, für immer loszulassen, was man so sehr geliebt und geschätzt hat. So mancher Leser mag nun denken: Das will ich nicht! Ich will keine Tränen und keinen Schmerz aushalten müssen! Doch horchen Sie noch einmal ganz in Ruhe in sich hinein und versuchen Sie, die Begleitung des letzten Weges als eine Erfahrung anzusehen. Eine Erfahrung, die Sie mit dem Rückhalt Ihrer Familie und Freunde machen dürfen...“

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Bevor wir fahren, nehmen wir uns noch einen Moment Zeit vor den Sonnenblumen im Garten. Genießen die Natur. Die Ruhe. Die Luft. Die Herzlichkeit der Hexamers. Ein Kranich steigt in den Himmel, zieht einen Kreis über dem Haus und verschwindet hinter dem Horizont. Dann erhebt sich ein zarter, weißer Schmetterling von einer Sonnenblume, flattert um uns herum, als wolle er etwas sagen – und „schwebt“ davon. Wohin auch immer er will, wir alle haben wohl einen Gedanken, ich spreche ihn leise aus: „Gute Reise!“