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Fit & Gesund 2019

Rund acht Millionen Menschen leiden an Diabetes mellitus: „Krempeln Sie Ihr Leben um!“

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Kinderärztin Dr. Antonia Müller behandelt in Karlsburg Kinder mit Typ-1-Diabetes.

Rund acht Millionen Menschen leiden in Deutschland an Diabetes mellitus. Die Tendenz ist steigend. Prof. Dr. med.Wolfgang Kerner, Direktor der Klinik für Diabetes und Stoffwechselerkrankungen am Klinikum Karlsburg, über Ursachen, Folgen und Prävention der Volkskrankheit.Wie erklären Sie sich die steigenden Zahlen von Diabetikern?Der Diabetes ist eine Wohlstandserkrankung, sein Anstieg hat mit unserer Lebensweise zu tun. Die Energiebilanz der Betroffenen ist aus dem Gleichgewicht, weil sie zu viel und zu kalorienreich essen und sich gleichzeitig zu wenig bewegen. Es wird mehr Energie aufgenommen als der Mensch wirklich braucht. Wer die entsprechende erbliche Veranlagung besitzt, z.B. Eltern mit Diabetes, entwickelt unter diesen Bedingungen ebenfalls einen Diabetes. Außerdem steigt die Zahl von Diabetikern, weil die Menschen immer älter werden und der Diabetes eine Erkrankung ist, die im Alter an Häufigkeit zunimmt.Was kennzeichnet die Erkrankung Diabetes?Viel Zucker im Blut. Der Diabetes mellitus ist eine Stoffwechselerkrankung, bei der der Transport von Glukose aus dem Blut in die Zellen gestört ist. Der Diabetes wird diagnostiziert, wenn der Nüchtern-Blutzucker auf über 126 Milligramm pro Deziliter (mg/dl) bzw. 7,0 Millimol pro Liter (mmol/l) geklettert ist. Bei gesunden Menschen liegen die Zuckerwerte unter 100 mg/dl bzw. unter 5,6 mmol/l.Es wird unterschieden zwischen Typ-1 und Typ-2 Diabetes. Was sind die Unterschiede?In 95 Prozent aller Fälle liegt ein Typ-2-Diabetes vor. Die Körperzellen sprechen auf das Hormon Insulin schlechter an, das den Zucker in die Zellen schleusen soll. Es liegt eine sogenannte Insulinresistenz vor. Als Ursachen gelten Übergewicht und Bewegungsmangel sowie auch genetische Faktoren. Beim Typ-1-Diabetes stellt der Körper nicht mehr ausreichend das Hormon Insulin her. Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung, die nicht heilbar ist. Der Betroffene muss sich ein Leben lang Insulin zuführen.

Prof. Dr. med. Wolfgang Kerner, Direktor am Klinikum Karlsburg, über Ursachen, Folgen und Prävention

Rund acht Millionen Menschen leiden an Diabetes mellitus: „Krempeln Sie Ihr Leben um!“-2
Prof. Dr. med. Wolfgang Kerner ist seit 1996 Direktor der Klinik für Diabetes und Stoffwechselerkrankungen am Klinikum Karlsburg. FOTOS(2): KLINIKUM KARLSBURG

Wann spricht der Arzt von Prädiabetes?

Dieser Begriff bezeichnet ein Vorstadium zum Diabetes. Die Betroffenen besitzen ein erhöhtes Risiko, in den kommenden Jahren einen Diabetes zu entwickeln. Ein Prädiabetes liegt vor, wenn eines der folgenden Kriterien erfüllt ist: - Blutzuckerkonzentration nüchtern zwischen 100 und 125 mg/dl (5,6-6,9 mmol/l), - Blutzuckerkonzentration zwei Stunden nach Gabe von Glukose zwischen 140 und 199 mg/ dl bzw. 7,8-11,0 mmol/l, - Langzeitzuckerwert HbA1c zwischen 5,7 und 6,4 Prozent. Derartige Werte deuten darauf hin, dass das Hormon Insulin nicht mehr richtig wirkt und der Blutzucker nur noch eingeschränkt in die Zellen gelangt.

Warum ist Diabetes so gefährlich?

Weil die Folgeerkrankungen die Lebenserwartung und Lebensqualität der betroffenen Menschen stark beeinträchtigen. Es handelt sich bei den assoziierten Erkrankungen um die Verengungen der großen Gefäße von Herz, Gehirn und Beinen, die Verschlüsse der kleinen Gefäße von Augen und Nieren und um die Folgen des diabetischen Nervenschadens.

Die vorliegenden Statistiken sind beunruhigend: Für Diabetiker ist das relative Risiko für einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall gegenüber Nichtdiabetikern drei- bis fünffach erhöht. Insbesondere Frauen mit Diabetes sind vom Herzinfarkt bedroht. Amputationen werden bei Diabetikern 20-fach häufiger durchgeführt als bei Nicht-Diabetikern. Schon heute sind von allen Menschen, die auf eine lebenslange Nierenwäsche angewiesen sind, rund 30 bis 50 Prozent Diabetiker. Neben der Zunahme des Leidens bei den betroffenen Patienten steht das Gesundheitssystem auch vor einer gewaltigen Kostenexplosion.

Was sagen die Experten-Schätzungen über die Entwicklung in Deutschland?

Nach vorliegenden Erhebungen gibt es in Deutschland zurzeit acht Millionen Menschen mit Diabetes. Allerdings ist die reelle Zahl deutlich höher, da viele Menschen gar nicht wissen, dass sie bereits an der Stoffwechselstörungleiden, da diese zunächst keine Beschwerden verursacht.

Wie lässt sich Diabetes verhindern?

Wichtig ist eine umfassende Aufklärung, um der Erkrankung vorzubeugen. Für Ostdeutschland gibt es erstaunliche Daten. So hatten nach dem Zweiten Weltkrieg nur 0,6 Prozent der ostdeutschen Bevölkerung Typ-2-Diabetes. Heute sind es fast zehn Prozent. Die meisten Betroffenen sind übergewichtig. Sie könnten selbst viel bewirken, indem sie ihr Körpergewicht durch eine ausgewogene Ernährung und sportliche Aktivitäten verringern. Der Umstellung der Lebensweise kommt eine große Bedeutung zu. Zudem ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und reicht von der Erziehung im Elternhaus bis zur Fahrradfreundlichkeit der Region.

Welche Diäten empfehlen Sie?

Keine. Diäten bringen nur kurzzeitigen Erfolg.

Was verstehen Sie unter einer ausgewogenen Ernährung?

Empfehlenswert sind Gemüse, Obst, Fisch, Olivenöl und Vollkornprodukte. Fleisch sollte sparsam verwandt werden. Zu vermeiden sind zuckerhaltige Getränke und Fertigprodukte. Beispielsweise enthält ein Liter Fanta Orange 94 Gramm Zucker. In Deutschland konsumiert jeder Mensch ca. 90 Gramm pro Tag. Dabei wären 25 Gramm das eigentliche Maximum. Ein Wahnsinn.

Und wie sieht eine effektive Diabetes-Therapie aus?

Krempeln Sie Ihr Leben um, bewegen Sie sich. Das Wichtigste: Das Umkrempeln muss im Kopf beginnen. Die Therapie des Diabetes setzt neben der Änderung des Lebensstils meist auch eine medikamentöse Beeinflussung von Bluthochdruck, zu hohen Blutfettwerten und zu hohem Blutzucker voraus. Die Therapieziele der einzelnen Maßnahmen sind deshalb individuell zusammen mit dem Patienten festzulegen, um möglichst schwere Folgeerkrankungen zu vermeiden. Anette Pröber