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Wirtschaftsmagazin

„Man verlässt sich auf uns – und das ist ein gutes Gefühl“

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Axel Becker war zunächst verantwortlich für Technik und Instandhaltung. Seit 15 Jahren ist er Kraftwerksleiter.             Foto: Kerstin Rathje-Wesselow

Auf einen Blick

Ein täglicher Blick auf den Wetterbericht ist für Axel Becker schon in Fleisch und Blut übergegangen. Wenn der Kraftwerksleiter des Betreiberunternehmens des Steinkohlekraftwerkes Rostock, KNG mbH, hört, dass Sturm im Anmarsch ist, weiß er, an diesem Tag wird „sein“ Kraftwerk den Betrieb drosseln und pausieren müssen, weil Ökostrom, durch Windräder produziert, Vorrang hat. Die heutige Aufgabe eines, wie die Sprecherin des Energieministers Christian Pegel, Ulrike Sennewald, bestätigt, „der effektivsten Kraftwerke in Deutschland“ ist es, Schwankungen im Stromnetz auszugleichen, denn MV erzeugt heute bereits ausreichend Strom aus erneuerbaren Quellen.         

25 JAHRE KRAFTWERK ROSTOCK – Pressesprecherin Jana Hinz, von Anfang an dabei, erinnert sich...

Die Energiewende ist eine der großen Herausforderungen für Axel Becker und Jana Hinz, „Urgesteine“ im Steinkohlekraftwerk Rostock, die sie gemeinsam mit ihren Kollegen meistern müssen. Beide sind von Anfang an dabei. Becker war zunächst verantwortlich für Technik und Instandhaltung, seit 15 Jahren ist er Kraftwerksleiter. Jana Hinz, ist Diplomingenieurin für Wärmetechnik und Sprecherin der Kraftwerks- und Netzgesellschaft. Sie erinnern sich noch sehr gut an den 1. Oktober 1994, als nach über drei Jahren Bauzeit das Kraftwerk ans Netz ging. Es war der erste Steinkohlekraftwerksbau nach der Wende im Osten. Noch immer gilt diese Anlage als moderner und sauberer als viele ältere.
        

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Zu Besuch im Rostocker Steinkohlekraftwerke. Unsere Interviewpartnerin Jana Hinz in der modernen Leitzentrale des Rostocker Steinkohlekraftwerks. Foto: Martin Börner

Frau Hinz, können Sie sich noch an die Eröffnung des Kraftwerkes erinnern?

Natürlich! Auf dem Gelände hier Zum Kühlturm 1, war viel los. Dr. Helmut Kohl hielt die feierliche Rede und hat sich zwei Monate vorher kurzfristig entschieden, das Kraftwerk einzuweihen. Das war spannend.
        

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Vor dem Lüftergehäuse während der Revision im Jahr 2003.

Wie haben die Menschen dieses Ereignis damals aufgenommen?

Ja, das war bekannt, aber vorher gab es viel Unsicherheit in der Bevölkerung. Es sollte eigentlich zwei Kraftwerke geben. In Lübeck wurde keines gebaut. Dann hat man den Leuten glaubhaft gemacht: In Lübeck bauen wir die Dreckschleuder nicht, sondern in Rostock. Und dann hatten wir in Rostock ein Problem. Die Leute standen vor der Tür und haben demonstriert. Bei der Einweihung im September war aus Sicherheitsgründen auch Polizei präsent. Die eine Gruppe der Demonstranten waren Rostocker mit Plakaten ’Wir wollen das Kraftwerk nicht!’ Auf der anderen Seite standen die Lübecker mit: ’Wir wollen das Kraftwerk!’ – natürlich aus wirtschaftlichen Gründen. Die Demonstration verlief aber friedlich.
        

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In der Blockwarte des Steinkohlekraftwerkes Rostock.

Welche Bedeutung hatte das Kraftwerk denn für die Region?

Durch Erfahrungen aus der DDR bedingt – dort gab es viele „Dreckschleudern“ – hatten die Leute Angst, dass alles das, was früher aus Schornsteinen herauskam, jetzt aus dem neuen Kühlturm kommt. Rauchgasreinigung war vielen noch kein Begriff.

Wir haben versucht auf Messen und anderen Veranstaltungen aufzuklären. Man glaubte uns nicht. Doch dann gingen wir in Betrieb und es kam wirklich nur weißer Rauch aus dem Kühlturm. Dann glätteten sich die Wogen.

Auf vielen Tagen der offenen Tür haben sie über viele Jahre mittels Führungen durch das Steinkohlekraftwerk Aufklärungsarbeit geleistet...

Das Interesse an diesen Tagen war immer sehr groß. Im Jubiläumsjahr 2019 haben wir allerdings darauf verzichtet. Zu viele Rahmenbedingungen, die beachtet werden müssen, wie Datenschutz oder kritische Infrastruktur, erschweren die Organisation einer Veranstaltung wie diese doch erheblich.
        

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Rauchgasentschwefelungsanlage und Kesselhaus mit Entstickungsanlage.

Es gibt sicherlich viele Gründe, den 25. Geburtstag des Steinkohlekraftwerkes zu feiern...

Wir haben es geschafft zu beweisen, dass man aus Steinkohle saubere Energie machen kann. Wir haben im Prinzip in der Versorgungssicherheit eine Lücke gestopft. Das war ja der Grund, das Kraftwerk zu bauen. Wir sind hier oben im Norden immer noch relativ alleine. Man verlässt sich auf uns. Und das ist ein gutes Gefühl. Wenn man dann realisiert, dass man das schon seit 25 Jahren macht, dann erfüllt mich das schon mit etwas Stolz.
       

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Das Kraftwerk Rostock in der Bauphase 1992. Fotos (8): KNG/OZ Archiv

25 Jahre Steinkohlekraftwerk Rostock – was hat sich verändert?

Wir machen jedes Jahr eine planmäßige Revision. Wir wissen, dass wir auf einem technisch modernen Stand sind. Es gibt mittlerweile Kraftwerke, die moderner als wir sind, das muss auch so sein. Wir sind erst spät als modernstes Kraftwerk abgelöst worden. Wir betreiben eine Anlage, die sicher ist. Mir persönlich macht die Arbeit immer noch Spaß, ich gehe gern zur Arbeit. Ich finde, wir sind glaubwürdig geblieben.

Veränderungen? Die Abläufe haben sich nicht, aber die Herkunft der Kohle hat sich geändert. Damals sind wir allgemein mit Importsteinkohle ins Rennen gegangen, weil sie unseren Qualitätsansprüchen entspricht. Jetzt verbrennen wir überwiegend russische Steinkohle und in geringem Umfang Kohle aus den USA. Natürlich hat sich vor allem der Markt geändert, der Kampf dort ist härter geworden. Letztendlich müssen wir uns täglich an der Börse bewerben, dass wir Strom erzeugen dürfen. Wir sind mittlerweile auch immer häufiger außer Betrieb. Wind und Sonne laufen uns da den Rang ab.
       

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Die Rauchgasentschwefelungsanlage im Bau.

Entscheidungen in der Politik?

Politische Entscheidungen machen das Arbeiten in unserer Branche nicht leicht. Erst einmal hatten wir ja diesen Umschwung 2012/2013, als es die Havarie in Fokushima gab, wo die Bundeskanzlerin Angela Merkel meinte: ’Wir trennen uns von der Kernenergie!’ Ich komme ja aus der Kernenergie – für mich ein schwer nachvollziehbarer Schritt der Bundeskanzlerin. Langfristiger Ausstieg ja, aber nicht von jetzt auf sofort.

Danach hatten wir richtig gute Jahre. Aus unserem Mittellastkraftwerk war fast ein Grundlastkraftwerk geworden. Da haben wir so viel Strom gemacht wie vorher und danach auch nicht mehr. Mittlerweile möchte man sich ja von der Steinkohle trennen. Das macht es schwerer in die Zukunft zu denken und die Mitarbeitermotivation gewinnt einen neuen Stellenwert.
        

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Das Turbinengehäuse beim Check.

Sind es tatsächlich nur vier Leute, die für den regulären Kraftwerksbetrieb heute zuständig sind?

Wir hatten bis vor zwei Jahren fünf Leute in einer Schicht. Jetzt haben wir einen vier-Mann-Schichtbetrieb. Insgesamt arbeiten aber 120 Menschen im Kraftwerk im Seehafen.

Wie läuft eine Schicht ab?

In der Warte überwachen die Kollegen den vollautomatischen Betrieb der Anlage. Diese wird von dort auch hoch- und heruntergefahren. Nach zwei bis drei Stunden wird gewechselt. Zum Arbeitstag gehört natürlich auch ein regelmäßiger Rundgang. Wenn Reparaturen ausgelöst wurden, müssen diese auch vorbereitet werden.
       

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Lernen vor Ort beim Rundgang - das macht Spaß

Beeinflussen die energiepolitischen Ziele die Nachwuchsgewinnung?

Wir können fachlichen Nachwuchs schwerer begeistern. Ich kann es auch verstehen. Man macht eine Ausbildung, ist vielleicht nach sieben Jahren fertig und wenige Jahre danach wird der Kraftwerksbetrieb eingestellt. Deshalb beschäftigen wir uns gemeinsam mit den Gesellschaftern unseres Unternehmens mit der Weiterentwicklung des Kraftwerksstandortes.

Wie wirken sie der Entwicklung auf dem Energiemarkt entgegen?

Wie bereits gesagt, wir stecken nicht den Kopf in den Sand und wissen, dass wir uns entscheiden müssen: Wollen wir auf die Abschaltung warten oder wollen wir was Anderes machen? Ich glaube, die Antwort habe ich schon gegeben.
       

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Die Tage der offenen Tür im Kraftwerk Rostock sind immer gut besucht.

Herausforderungen schweißen ja bekanntlich ein Team zusammen. Welche gab es bei Ihnen?

Schon der tägliche Betrieb einer so komplexen technischen Anlage ist eine Herausforderung, der wir uns aber gern stellen. Anlagenschäden erhöhen diese noch um ein Vielfaches, so zum Beispiel der „Saugzugschaden 2009“. Als der Saugzug kaputt war, standen wir fünf Monate still. Wir wollten sowieso einen langen Stillstand machen, im April. Es ist aber im Januar passiert. Und dann haben wir von Jetzt auf Sofort alles umgeworfen und umgeplant und den Stillstand vorgezogen. Das zeugt von einer hohen Flexibilität und fachlicher Kompetenz. Das haben wir alles gut hinbekommen. Was mir immer wieder dabei auffällt – man kann unwahrscheinlich gut und viel improvisieren. Das liegt vielleicht auch daran, dass wir in Ostdeutschland aufgewachsen sind. (lacht)

Das Kraftwerk hat ihr Leben über 25 Jahre geprägt. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie privat unterwegs sind und von Weitem den Rauch aus dem Kühlturm aufsteigen sehen?

Ich bin schon stolz, fast von Anfang an dabei gewesen zu sein. Und wenn ich von Weitem sehe, dass der Kühlturm dampft, dann sage ich: „Guck mal, wir sind in Betrieb!“ Ich weiß auch, dass Segler an der Kühlturmfahne sehen, ob es sich lohnt, auf die Ostsee rauszufahren.

Ein Blick in die Zukunft des Unternehmens...

Es ist eine schöne und wichtige Aufgabe, die Menschen mit Strom zu versorgen. Ich hoffe, dass wir weiterhin bedarfsgerecht Strom und Fernwärme liefern können und trotz demographischem Wandel genügend junge Leute finden, die uns bei unseren zukünftigen Aufgaben unterstützen. Interview: Kerstin Rathje-Wesselow
        

Auf einen Blick

Das Kraftwerk Rostock verbraucht 1,1 Mio Tonnen Kohle pro Jahr, das sind 884 Schiffsladungen in 25 Jahren. 111 000 Besucher nahmen in 25 Jahren an den Führungen durch das Kraftwerk teil. In 25 Jahren wurden 50 Industriemechaniker, 44 Elektroniker sowie 25 Industriekaufleute ausgebildet. In dem viertel Jahrhundert wurden 72 TWh elektrischer Strom gemacht und 6,5 TWh Fernwärme erzeugt. Mit dem Strom, der pro Stunde gemacht wird – 553 Megawatt – könnte die Hälfte der Haushalte Mecklenburg-Vorpommerns versorgt werden.