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Joboffensive - 1. Juni 2019

„Die Arbeit macht mir Spaß“

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„Curaneum“-Bewohnerin Vera Behlke wird von Kathrin Saß liebevoll umsorgt. FOTO: FRANK BURGER

Hilfe aus Vietnam als Rezept gegen Fachkräftemangel?

Von Frank BurgerBarth. Seit fünf Jahren arbeitet Kathrin Saß im „Curaneum Barth“. Die 53-Jährige betreut im stationären Pflegeheim alte Menschen. Es ist Schichtarbeit, die auch nicht vor den Wochenenden halt macht. „Die Arbeit macht mir Spaß“, sagt sie dennoch voller Überzeugung.Mit Menschen hatte die Bartherin ihr ganzes Berufsleben zu tun. Die ausgebildete Krankenschwester erlernte ihren Beruf von 1982 bis 1985 an der Greifswalder Medizinischen Fachschule und blieb nach der Ausbildung in der Hansestadt am Ryck. „In den kommenden Jahren veränderte sich mein Leben von Grund auf. 1986 wurde mein Sohn geboren. Ein Jahr später bin ich zu meinen Eltern in die Nähe von Barth gezogen und 1988 bekam ich eine Tochter, heiratete meinen Mann und wir zogen in eine gemeinsame Wohnung in Barth“, berichtet sie. Nachdem privat alles geregelt war, begann die junge Mutter und Ehefrau in der Poliklinik Barth zu arbeiten. In drei Schichten. Ihr Mann arbeitete im Rettungsdienst. „Meine Eltern halfen uns damals sehr“, sagt sie rückblickend.Dann kam die Wende. 1992 wurde die Poliklinik in Barth aufgelöst und Kathrin Saß musste sich nach einem neuen Job umsehen. Der begann für sie am 1. Mai 1992 als Sprechstunden- und Arzthelferin bei einem Gynäkologen in Barth. Dort blieb sie dann 18 Jahre. In dieser Zeit bildete sie Arzthelferinnen aus und absolvierte selbst eine Ausbildung zur Qualitätsmanagerin in der Arztpraxis. Es tat ihr gut, nicht mehr in Schichten zu arbeiten. Doch irgendwann musste eine neue Herausforderung her. So bewarb sie sich im Pflegeheim in Freudenberg bei Ribnitz-Damgarten.

Kathrin Saß arbeitet als Krankenschwester in einem Pflegeheim in Barth

„Was ich meinen jungen Leuten zu vermitteln versuche, ist, dass sie mit dem Herzen dabei sein sollten.“

Kathrin Saß
Krankenschwester

„Es war schön, einen Tag in der Woche frei zu haben und mal Zeit mit meinem Mann genießen zu können“, so Kathrin Saß. Auch die Arbeit änderte sich grundlegend. Während in der Arztpraxis jeden Tag neue Menschen mit ihren Problemen zu ihr kamen, lernte sie im Freudenberger Heim die Bewohner intensiver kennen. „Dort ist man nicht nur Krankenschwester, sondern auch Seelsorgerin“, erklärt Kathrin Saß.

Vor fünf Jahren bekam sie dann einen Anruf der Leiterin des Barther „Curaneums“. Natürlich konnte sie sich einen Wechsel vorstellen. „Ich habe es bis heute nicht bereut“, so Kathrin Saß. Bereits 2012 hat sie die Berechtigung erworben, als Praxisanleiterin zu arbeiten. Sie ist für die Lehrlinge und neue Kollegen zuständig. „Was ich meinen jungen Leuten zu vermitteln versuche, ist, dass sie mit dem Herzen dabei sein sollten. Dann stören auch die durchaus ungewöhnlichen Arbeitszeiten nicht so sehr“, erklärt sie. Sie berichtet, dass die alten Leute auch viel zurückgeben. „Sie haben alle ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Davon können auch wir als Pfleger profitieren“, fügt sie noch hinzu.

Als Krankenschwester arbeitet Kathrin Saß als Pflegefachkraft und ist im täglichen Alltag fest mit eingebunden. Frühstück, Beschäftigung, Mittag, Toilettengänge, Medikation, Kaffee. „Ich möchte dazu beitragen, den Bewohnern hier ihr Leben so schön wie möglich zu machen. Das ist eine sehr dankbare Aufgabe“, so die Bartherin, die jetzt in Zipke auf dem Land unweit der Stadt wohnt. Das wäre auch das, was sie jungen Menschen über ihren Beruf sagen würde. Jedes Jahr beginnen zwei Lehrlinge ihre Ausbildung im „Curaneum“. Ab September erhalten sie eine generalisierte Pflegeausbildung, die eine zweijährige Grundausbildung beinhaltet. Erst im letzten Jahr müssen sich die jungen Leute entscheiden, ob sie Krankenschwester, Kinderkrankenschwester oder Altenpfleger werden wollen. „Die jungen Menschen sind sehr engagiert und interessiert. Ich freue mich auf sie“, sagt Kathrin Saß, bevor sie an Bewohnerin Vera Behlke für das Foto heranrückt. Es ist eng und beide müssen lachen.

Hilfe aus Vietnam als Rezept gegen Fachkräftemangel?

An der Rostocker Universitätsmedizin werden 20 Vietnamesen zu Krankenpflegern/ Wissenschaftler begleiten das Pilotprojekt

„Die Arbeit macht mir Spaß“-2
Pflegevorstand Annett Laban (3. v. l.) mit Projektassistentin Caren Erdmann (2. v. l.) und einer Delegation auf Recherchereise beim Besuch des St.-Paul-Hospitals in Hanoi. FOTO: ARCHIV/UNIMEDIZIN ROSTOCK

Rostock. Sind Krankenpfleger aus Vietnam ein gutes Rezept gegen den deutschen Fachkräftemangel? Diese Frage wollen Politikwissenschaftler der Universität Rostock erforschen: Die Wissenschaftler des Lehrstuhls für Internationale Politik und Entwicklungszusammenarbeit begleiten ein bislang einmaliges Ausbildungsprojekt der Universitätsmedizin Rostock: Am 3. September vergangenen Jahres starteten dort 20 Vietnamesen eine duale Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege.

Die 16 Frauen und vier Männer haben bereits eine Pflegeausbildung in ihrer Heimat absolviert sowie ein Jahr die deutsche Sprache am Goethe-Institut in Vietnams Hauptstadt Hanoi studiert. Ihre dreijährige Berufsausbildung in Rostock findet im Rahmen eines bundesweiten Pilotprojektes statt: Bis zu diesem Jahr wird im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) erprobt, Vietnamesen zu Krankenpflegern für den deutschen Arbeitsmarkt auszubilden – aktuell an Klinikstandorten in Berlin, Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. An der Universitätsmedizin Rostock ist für dieses Jahr bereits ein weiterer Ausbildungsgang mit Vietnamesen geplant.

Vietnamesen pflegen kranke Menschen am anderen Ende Welt: Wie dieses grenzüberschreitende Modell für alle Beteiligten langfristig funktioniert, wollen die Rostocker Politikwissenschaftler unter Leitung von Professor Dr. Jörn Dosch untersuchen. „Sowohl die Bundesregierung als auch das Land Mecklenburg-Vorpommern setzen wegen des Fachkräftemangels verstärkt auf Personal aus dem Ausland“, erklärt Politologin Dr. Ludmila Lutz-Auras. „Uns interessieren die Ursachen dieser Entwicklung, aber auch die langfristigen Folgen.“

Weshalb entscheiden sich Vietnamesen für eine deutsche Ausbildung im 10 000 Kilometer entfernten Rostock? Lassen sie sich langfristig halten? Und warum kooperieren beide Länder? Für die Assistentin des Pflegevorstandes der Rostocker Universitätsmedizin, Caren Erdmann, liegen die Vorteile auf der Hand: „Aus unserer Sicht profitieren alle Beteiligten!“ Auf dem deutschen und auch dem europäischen Arbeitsmarkt sei inzwischen kaum noch Pflegepersonal zu finden. Selbst Zeitarbeitsfirmen aus Rostock rekrutierten schon in Asien.

Aufgrund der Überalterung der Gesellschaft wird sich der Personalmangel weiter verschärfen, sagen Experten: Danach ist bis zum Jahr 2030 mit einem Bedarf von 100 000 bis 500 000 Pflegekräften zu rechnen. „Wir ziehen aber keine Fachkräfte aus Vietnam ab, sondern leisten Aufbauhilfe“, betont Caren Erdmann. So fänden viele vietnamesische Pfleger in ihrer Heimat keine Anstellung – trotz eines Universitätsabschlusses. Die Pflege von Alten und Kranken ist dort oftmals noch Familienangelegenheit. „Durch die Ausbildung in Rostock fassen sie beruflich wieder Fuß. Und mit ihren Erfahrungen können sie später in Vietnam eine Pflegeausbildung nach deutschen Vorbild aufbauen.“

Oberstes Ziel ist es jedoch, die vietnamesischen Azubis langfristig an Rostock und die Unimedizin zu binden. Die unterschiedliche Herkunft wird dabei zur Herausforderung für alle Kollegen. Das haben bisherige Erfahrungen mit Pflegekräften aus Serbien und Ungarn gezeigt. Um das gegenseitige Verständnis zu fördern, haben die Rostocker Politikwissenschaftler die Klinikmitarbeiter deshalb über Vietnam und nationale Eigenheiten informiert. „Typisch deutsche Umgangsformen wie offene Kritik oder auch anerkennendes Schulterklopfen sind für Vietnamesen tabu“, erklärt Politologin Lutz-Auras. Ebenso wurden die Vietnamesen in interkultureller Kommunikation und Kompetenz geschult: in Kursen des Rostocker Vereins „Dien Hong“, den ehemalige Vertragsarbeiter aus Vietnam 1992 gegründet haben.

Dass es in der Hansestadt seit den 1980er-Jahren eine vietnamesische Gemeinde gibt, könnte ein Standortvorteil sein – und ein gutes Rezept gegen Heimweh. Ebenso wie die vietnamesischen Reiskocher, mit denen die Unimedizin die Wohnheimzimmer der Azubis ausstattete.

In Deutschland waren im Juni 2017 insgesamt 32 700 Personen mit vietnamesischer Staatsangehörigkeit sozialversicherungspflichtig beschäftigt, darunter 22 000 in Westdeutschland, 10 700 in Ostdeutschland und 430 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern. Zwischen Deutschland und Vietnam gibt es bereits seit den 1970er-Jahren wirtschaftliche Beziehungen: In den 1980er-Jahren kamen tausende Vietnamesinnen und Vietnamesen in die ehemalige DDR: In Rostock wurden sie vor allem im Seehafen beschäftigt.

„Care Card“ gefordert

Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa), beklagt ein Versorgungsproblem in der Pflege: „Bundesweit werden zunehmend die Versorgungslücken sichtbar. Pflegeheime führen Wartelisten, Pflegedienste müssen die Versorgung aufgrund fehlender Fachkräfte ablehnen. Wir steuern mit Volldampf auf den Versorgungsnotstand zu.“ Die Politik auf Bundes- und Landesebene verschärfe das Problem sogar noch mit weiteren Detailregelungen. Angesichts der Personalnot sei es dringend erforderlich, dass die Politik eine „Care Card“ beschließt, um ausländischen Pflegekräften den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern, so Meurer.