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Fremde Nachbarn

Fremde Nachbarn

Weihnachten - ein Fest bei dem sich Menschen näher kommen

Dicke Freunde waren sie bisher nie und gute Nachbarn wohl auch nicht. Man ging sich eben aus dem Weg. Kam es doch mal zufallig zur Begegnung – auf dem gemeinsamen Hof oder im Supermarkt – gab es allenfalls ein flüchtiges Kopfnicken, um sich dann schnell wieder anderen Dingen zuzuwenden.So war es auch vor ein paar Jahren, an einem 24. Dezember. Der große und kraftig gebaute Karl Schmidt, dem man seine 72 Jahre, die er schon auf dem Buckel hatte, nicht unbedingt ansah, schlenderte, den Mulleimer in der Hand, uber den Hof und brubbelte irgendwas vor sich hin. Schnurstracks steuerte der Rentner den gemeinsamen Müllcontainer des Mehrfamilienhauses an. Von da kam ihm sein Nachbar, Yasin Octany, 46 Jahre alt und Vater von fünf Kindern, entgegen.Der hatte, seit er im Sommermit seiner Familie in das einsam gelegene Haus am Stadtrand einzog, schon oft versucht, seinen Nachbarn freundlich oder zumindest höflich und immerhin in fast akzentfreiem Deutsch anzusprechen. Er erntete aber immer nur ein unverständliches Brubbeln und allerhöchstens ein flüchtiges Kopfnicken.Mehr Entgegenkommen war von dem Senior nicht zu erwarten. Auch nicht, als Yasins Frau Alayna eines Tages bei den Nachbarn klingelte und fragte, ob sie mal telefonieren könnte, ihr Handy sei kaputt. Sie bräuchte einen Arzt, eines der Kinder habe hohes Fieber. Karl Schmidt öffnete zwar die Tür, sprach seine etwas dunkelhäutige Nachbarin aber nicht direkt an, sondern rief nach hinten in die Wohnstube: „Alma, bring mal das Telefon – die Ajatollas haben kein Handy“. Er ließ die Nachbarin vor der Haustür stehen und draußen telefonieren. Der Arzt kam und behandelte das kranke Kind. Das tobte Tage später schon wieder fröhlich auf dem Hof herum.Auch die beiden Frauen gingen sich größtenteils aus dem Weg. Aber wenigstens hatte die dickleibige Alma für ihre fremdländische Nachbarin ab und zu ein höflich gemeintes aber eher leises „Guten Tag Frau Octany“ parat. Und selbst unter den Eheleuten wurde über die jeweiligen Nachbarn kaum gesprochen, so als seien diese gar nicht wichtig. Yasin sagte einmal zu seiner jungen Frau: „Für die bleiben wir Fremde. Da ist nichts zu machen. Wer weiß, was sie mit anderen Leuten für schlechte Erfahrung gemacht haben“.Das sagte er auf Deutsch. Seit sie in diesem Land, ihrer neuen Heimat, als politische Flüchtlinge anerkannt waren und das Asylheim verlassen durften, sprachen die Einwanderer auch untereinander fast nur Deutsch, auch mit den Kindern. Nur wenn Alayna mal laut mit den Kindern schimpfte, tat sie es auf Arabisch. Die deutsche Sprache, die sie noch nicht lange sprach, sei ihr zum Schimpfen zu schade, hatte sie Alma mal erklärt.Karl und Alma hatten den Einzug der libanesischen Familie von Anfang an mit einer Portion Argwohn betrachtet. Nicht dass die Rentner pauschal Ausländer hassten. Aber ausgerechnet Araber? Da weiß man doch nie, was die im Schilde führen!Ansonsten redete auch das deutsche Rentnerpaar untereinander kaum über die neuen Nachbarn. Alma wunderte sich nur, dass Alayna nicht ständig mit einem Kopftuch umherlief, die Kinder immer so adrett gekleidet waren und die drei Ältesten der Octans jeden Morgen brav an der Haltestelle auf den Schulbus warteten.So lebten die Nachbarsleute bis zu jenem Heiligabend teilnahmslos nebeneinander her. Karl war gerade mit dem Mülleimer von draußen zurück, als es anfing zu schneien, kälter war es schon Tage vorher geworden. In der Küche schob die dicke Alma gerade die Weihnachtsgans in den Backofen. Dann tat sie die Küchenabfälle in einen Eimer und bat ihren Karl, doch auch diesen Eimer noch schnell draußen zu entleeren. Doch der lehnte brubbelnd ab, schließlich sei er gerade erst draußen gewesen und außerdem schneie es jetzt dicke Flocken.Alma bettelte ihn nicht lange, schnappte sich den Eimer und ging selbst raus auf den Hof. Doch weit kam sie nicht. Zwei Schritte machte sie vor die Tür, da verlor sie das Gleichgewicht und schlitterte – die Füße samt Filzpantoffeln nach vorn gestreckt – lang hin. Laut schrie sie um Hilfe. Doch der schwerhörige Karl bekam es nicht einmal mit. Bis ihn ein lautes Klopfen aufschrecken ließ. Nachbar Yasin stand an der Tür: „Schnell, ihre Frau ist gestürzt, wir müssen ihr helfen!“ – Draußen kniete schon Alayna bei der gestürzten Alma und redete ihr gut zu. Mit viel Kraftaufwand gelang es den Männern, die übergewichtige Frau ins Wohnzimmer zu bringen. Wenig später kam ein Krankenwagen und nahm sie mit ins nahegelegene Hospital. Als der Wagen vom Hof fuhr, blieben die anderen Erwachsenen etwas ratlos stehen. „Weihnachten ohne Alma – wie soll das gehen?“, fragte Karl kleinlaut und fügte leise hinzu: „Aber das versteht ihr nicht. Weihnachten ist für uns etwas ganz Besonderes!“ – „Für uns auch, wir sind Christen, wie ihr, hatten es auch deshalb nicht immer einfach in unserer alten Heimat“, erklärte Alayna ruhig.Nun dämmerte es Karl. Na klar doch – das fehlende Kopftuch. Und allmählich taute er auf. „Dann feiert ihr Weihnachten so wie wir?“ – „Ja, mit Weihnachtsliedern und Geschenken. Nur einen Weihnachtsmann, der unseren Kindern die Geschenke bringt, haben wir dieses Mal leider nicht“, berichtete Yasin. „Wenn‘s weiter nichts ist. Ich habe auf dem Boden noch einen alten roten Mantel. Wenn Sie, äh, Ihr - nichts dagegen habt, würde ich heute Abend gern den Weihnachtsmann spielen – als Gegenleistung für die Hilfe. Müsst mir nur noch schnell die Namen eurer Kinder aufschreiben. Wenn ich das morgen im Krankenhaus der Alma erzähle, ich als Weihnachtsmann...“Rolf Barkhorn aus „Der Christbaum in der Kreissäge“

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Artikel veröffentlicht: Donnerstag, 23.11.2017 16:00 Uhr